Gernsbach und das Murgtal im hohen Mittelalter

Vortrag mit Bildern am 27. Juli 2022

Die Zuhörer erhielten einen Überblick über die Zeugnisse der Zeit zwischen 1050 und 1250 im oberen und unteren Murgtal (bis Kuppenheim). Anhand von Bildmaterial wurden vorgestellt: die Ruine der rätselhaften Burg Tannenfels bei Baiersbronn/Obertal, der beeindruckende Bau der Kirche von Klosterreichenbach (ehemalige Priorei des Klosters Hirsau am Reichenbach), die Filialkirche Heselbach, die Ruine Königswart über Schönegründ, die Reste der Burg Michelbach (Gaggenau-Michelbach), die Burgruine Alteberstein bei Baden-Baden-Ebersteinburg und die Gräben und Wälle des großen Schanzenberges am linken Murgufer mit direktem Blick hinunter auf Bad Rotenfels. Bei dieser Übersicht nahm Gernsbach eine besondere Stellung ein. Zwar existieren aus dem Hochmittelalter hier keine sichtbaren Spuren mehr, aber die Namen „Hofstätte“ und „Hof“ (Quartier um die St. Jakobskirche, momentan leider aus der Beschilderung verschwunden) deuten in die Frühzeit der Ansiedlung. Wichtigster Grund für die Entstehung des Ortes war sicherlich die Furt über die Murg, die vor der ersten Errichtung eines Hofes bekannt gewesen sein dürfte.

Als interessante Frage wurde beleuchtet, wie die Herren von Eberstein (Berthold und dessen Söhne Berthold und Eberhard) wohl von ihrer bereits existierenden Burg Eberstein (Alteberstein) ins Priorat Reichenbach gekommen sind, wo sie 1085 zum ersten Mal als Zeugen einer Schenkung erwähnt werden. Nahmen sie den Weg über das Rheintal und dann über einen Schwarzwaldpass („Kaisersteigle“ beim Ruhestein) ins Murgtal? Oder überquerten sie die Murg und nahmen den Weg rechts des Flusses über die Enzhöhen? Bei dieser Frage wird die fehlende Passierbarkeit des mittleren Murgtals im Mittelalter deutlich und auch das Bemühen der Ebersteiner, besonders durch Heiraten mit Mitgliedern der Tübinger Grafenfamilie Verbindungen ins obere Murgtal zu knüpfen beziehungsweise aufrecht zu erhalten.

Schon längere Zeit vor dem Jahr 1085, nachdem die Ebersteiner ihre Stammburg erbaut hatten, gab es aber noch ein anderes Adelsgeschlecht im unteren Murgtal, das eine Herrschaft aufbauen wollte: die Herren von Michelbach (Werinhard mit seinen Söhnen Werinhard, Eberhard und Cuno) auf ihrer Burg im heutigen Gaggenauer Stadtteil Michelbach. Nach dem Vornamen “Werinhard” werden sie die “Werinharde von Michelbach” genannt. Die gegenwärtige Forschung nimmt an, dass Gernsbach von den Ebersteinern im 12. Jahrhundert gegründet wurde. Reizvoll ist aber auch die Überlegung, wie weit die Michelbacher bei der Ausweitung ihres Einflussgebiets gekommen sind. Ihre nach 1041 erbaute Burg mussten sie vor 1056 auf Befehl Salierkaisers Heinrich III. wieder abreißen, bauten sie aber danach wieder auf, da der nachfolgende König Heinrich IV., zunächst minderjährig, wegen Kriegen gegen Sachsen, Reichsfürsten und die Kirche über Jahre hin keine starke Herrschaft aufrecht erhalten konnte. Im Verlauf von fast 50 Jahren versuchten die Michelbacher immer wieder, sich Teile des Landgutes Rotenfels anzueignen, das Kaiser Heinrich III. 1041 dem Domstift Speyer geschenkt hatte. Bis sie 1102 auf Veranlassung Heinrichs IV., der seine Macht zu diesem Zeitpunkt wieder konsolidiert hatte, das Murgtal verlassen mussten und wenig später sozusagen von den Ebersteinern „beerbt“ wurden, denen die Vogtei über das Speyerer Gebiet übertragen wurde. Hatten die Michelbacher eventuell eine ähnliche Stellung angestrebt? In der Urkunde von 1102, in der festgelegt wird, dass die Michelbacher ihren Eigenbesitz an Kaiser Heinrich verkaufen (der ihn dann dem Domstift Speyer schenkt) und das Murgtal verlassen müssen, wird Gernsbach nicht erwähnt. Natürlich nicht! Selbst wenn die Michelbacher hier schon eine Hütte an der Furt hätten bauen lassen, wäre der Platz in dieser Situation niemals als ihr Eigengut anerkannt worden! Das Marktdorf galt immer als Eigentum Speyers, das trugen die Ebersteiner von Speyer zu Lehen. Das Kirchdorf aber reklamierten die Ebersteiner, wie auch alle anderen von ihnen gegründeten Ort weiter südlich im Tal, für sich als Eigentum. Dabei nimmt die Forschung an, dass das Kirchdorf älter ist. Die Ungereimtheit ließe sich auflösen, wenn man annimmt, dass das 1041 an Speyer geschenkte Landgut Rotenfels bis zu Grenze zwischen späterem Markt- und Kirchhügel ging. Das wird aber durch die aktuelle Forschung nicht bestätigt.

Beobachtung zum Namen “Gernsbach”: 742 gründete ein gewisser Warnharius das Kloster Hornbach in der Pfalz. Im 10. Jahrhundert finden wir einen Werner, Graf im Worms- und Speyergau. Er gilt als Vorfahr der Salier (und wahrscheinlich auch der Werinharde von Michelbach). Kaiser Heinrich IV. bestätigte 1105 der Kirche von Speyer die Vogtei über Kloster Hornbach und stellte in der Urkunde darüber fest, dass “die Abtei Hornbach in alter Zeit von unseren Vätern gegründet” wurde.  Warnharius, der Stifter von Hornbach, entstammte einer Familie, als deren Stammvater ein Graf Gerwin gilt (Ende des 7. Jahrhunderts Graf von Paris).  Nur Zufall?