Am 29. November 2024 hatte sich eine Delegation aus Gernsbach zu einem vorweihnachtlichen Freundschaftstreffen in die Partnerstadt Baccarat aufgemacht. Auch einige Vertreter des Arbeitskreises Stadtgeschichte Gernsbach waren gekommen, um bei dieser Gelegenheit mehr über Georges Béné zu erfahren, den Mann, der bei der Gründung der Städtepartnerschaft 1964 eine wesentliche Rolle gespielt hat. Glücklicherweise hatte sich dessen Sohn Alain Béné (Jahrgang 1942) bereit erklärt, sich mit Regina Meier, Ulrich Maximilian Schumann und Cornelia Renger-Zorn über seinen Vater zu unterhalten. Das Gespräch fand im Büro der Bürgermeister-Stellvertreterin Yvette Coudray im Rathaus von Baccarat statt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse über Leben und Motive von Georges Béné lassen sich verkürzt wie folgt zusammenfassen:
Lebenslauf
Georges Béné (1905-1983) stammte aus einer katholischen Familie in Séléstat (Schlettstadt) im Elsass. Sein Vater, ein Lehrer, engagierte sich im öffentlichen Leben als stellvertretender Bürgermeister und spielte 1925 bei der Gründung der « Jardins Ouvriers » (« Arbeiter-Gärten »), einem noch heute existierenden Verband von Kleingärtnern, eine wesentliche Rolle. Georges Béné hatte also schon in seinem Vater ein Beispiel für soziales Engagement vor Augen. Dazu hatte er von Jugend auf auch eine enge Beziehung zur deutschen Sprache. Elsass-Lothringen gehörte von 1871 bis 1918 zum Deutschen Reich, und Georges besuchte in Séléstat eine deutsche Schule. Sein Vater diente während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) in der deutschen Armee.
Nach dem Abitur studierte Georges Béné in Nancy (120 Kilometer nordwestlich von Séléstat). Am dortigen Handelsinstitut erwarb er ein Diplom als Handelsingenieur sowie ein Zertifikat in madagassischer Sprache, was darauf hindeutet, dass er eventuell nach Madagaskar gehen wollte. Trotz seiner Fähigkeit, sich in Gesellschaft aufgeschlossen und heiter zu geben, schätzt Sohn Alain seinen Vater eher als Einzelgänger von ernstem Gemüt ein. Er sei, so berichtet der Sohn, sehr häuslich gewesen und habe Frankreich nur für seine späteren Reisen nach Gernsbach verlassen. Seine Lieblingsbeschäftigungen seien sportlicher Natur gewesen (Fußball, Tennis, Handball). Dazu sei er gerne auf die Jagd und zum Fischen gegangen.
Nach Erlangung des Diploms arbeitete Georges Béné bei verschiedenen Firmen, zunächst in Scherwiller (fünf Kilometer von Séléstat entfernt), in den 1930er Jahren in Baccarat, wo er seine spätere Frau Thérèse Berr (1910-1993) kennenlernte (wahrscheinlich beim Tennisspielen), die er 1939 heiratete. Thérèse stammte aus einer jüdischen Familie. Es ist anzunehmen, dass die Schwiegereltern Armand Berr und seine Frau Rose (geborene Loeb) nicht begeistert waren. Ein noch größeres Problem stellte nach der Schilderung von Sohn Alain aber die katholische Frömmigkeit seiner Großmutter (Georges Mutter) dar. Georges selbst sei, so vermutet Sohn Alain, nicht besonders fromm gewesen. Schließlich hätten sich, so berichtet der Sohn, dann aber doch beide Seiten mit der Verbindung abgefunden.
Die Beziehungen besserten sich entscheidend nach einem tragischen Ereignis. 1939 wurden Armand und Rose Berr in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt. In dieser Zeit unterstützte Georges Béné seine Schwiegereltern und half ihnen, wieder auf die Beine zu kommen.
Im Mai 1940 überfiel NS-Deutschland Frankreich. Georges Béné wurde eingezogen und im « Depot 40 » in der Kaserne von Baccarat stationiert, wo sich ein Depot für militärisches Material befand. Wegen der raschen Verschlechterung der militärischen Lage für Frankreich sollte das Material evakuiert werden. Bei dieser Evakuierung nahm Georges Béné seine Frau und seine Schwiegereltern mit, da diese sich als Juden in großer Gefahr befanden. In einem Ford V8 begleiteten sie den Transport des Militärmaterials, als Bombenangriffe den ganzen Konvoi zerstreuten. Die Familie Béné entkam im Auto dem Inferno und fand sich auf einer Straße wieder, die in den Süden führte, also in das nicht von Deutschen besetzte, seit Juli 1940 von Vichy aus regierte Frankreich.
Schließlich landete die Familie in Villeneuve-sur-Lot (zwischen Bordeaux und Toulouse), wo sie bis 1945 blieb. Alain erinnert sich noch an das hübsche kleine Haus, in dem sie lebten. Ein Landwirt hatte es gebaut, dessen Hof sich auf der anderen Straßenseite befand. Hier wurde Alain Béné 1942 geboren. Vater Georges arbeitete auf einem Bauernhof. Zur Selbstversorgung ging er zum Fischen. Die Bénés hielten auch Geflügel und zogen sogar ein Schaf auf. Sohn Alain hat noch sehr schöne Erinnerungen an diese Zeit. Auch andere Familien aus Baccarat fanden Zuflucht in Villeneuve-sur-Lot. Erst 1945 kehrte die Familie nach Baccarat zurück. Das dortige Haus der Schwiegereltern (erbaut von Armand Berr 1924) war von Deutschen, aber auch von Franzosen geplündert worden. In diesem Haus lebte die Familie nun mit sechs Personen (Georges Béné mit Frau und Sohn, seine Schwiegereltern und sein lediger Schwager). Ein Bergungsunternehmen wurde gegründet (Schwiegervater Berr war schon 1914 in dieser Branche tätig), Georges Béné kümmerte sich um die Buchhaltung. Daneben brachte er sich immer mehr im Leben der Gemeinde ein, zunächst als Ratsmitglied, dann als stellvertretender Bürgermeister.
1964 war Georges Béné dann an der Gründung der Städtepartnerschaft wesentlich beteiligt und engagierte sich in den folgenden Jahren mit großem Einsatz dafür. Häufig kam er nach Gernsbach und schloss Freundschaft mit vielen Gernsbachern wie Herrn Wehrle und Herrn Fortenbacher. Schließlich wurde er mit der Ehrenbürgerwürde von Gernsbach ausgezeichnet. Georges Béné starb 1983 an einem geplatzten Aneurysma, auf dem Rückweg von Gernsbach.
Sohn Alain Béné erinnert sich an seine Beisetzung:
Es kam eine sehr große Delegation aus Gernsbach, die Reden waren sehr bewegend. Ich denke, in Gernsbach ist er lebendiger in Erinnerung als in Baccarat. Jedes Jahr im Februar wird auf Initiative der Stadtverwaltung von Gernsbach eine Pflanze auf seinem Grab niedergelegt.
Danke, dass Sie es nicht vergessen !
Wir, vom Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach, geben diesen Dank an die Stadt Gernsbach weiter und bedanken uns ganz herzlich bei M. Alain Béné dafür, dass er uns für ein längeres Gespräch zur Verfügung stand, in dem er uns so viele interessante Einzelheiten berichtet und so viele Fragen beantwortet hat! Wir hoffen auf ein baldiges Wiedersehen!
Anmerkungen zur Geschichte
Nicht alle waren damals begeistert von der Städtepartnerschaft
Das Engagement von Georges Béné ist umso mehr zu würdigen, wenn man die historische Situation betrachtet, in der die meisten Städtepartnerschaften entstanden sind. Wie Sohn Alain Béné anmerkte, waren 1963/64 nicht alle von der Idee eine solchen Partnerschaft mit Gernsbach begeistert. Der Wunsch zur künftigen Zusammenarbeit sei keine Bewegung “von unten”, also aus der Bevölkerung heraus gewesen. Der Anstoß sei, so meint Alain Béné, zunächst “von oben”, also von staatlichen Stellen gekommen.
Grund für das Interesse “von oben” war der Elysée-Vertrag. Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer hatten 1963 diesen Vertrag geschlossen, in dessen Rahmen engere Konsultationen und auch ein Austausch besonders der Jugend vorgesehen war. Dieser deutsch-französische Freundschaftsvertrag sollte die sogenannte “Erbfeindschaft” zwischen den beiden Völkern endgültig beseitigen. Im Zuge dieses Vertrages kam es auch zu zahlreichen Gründungen von Städtepartnerschaften .
Allerdings zeigte sich im Verlauf der Vertragsverhandlungen, dass die politischen Interessen de Gaulles und Adenauers nicht übereinstimmten. Der Vertragstext wurde bis zur Unverbindlichkeit verwässert. Heute wird er hauptsächlich als Symbol für Freundschaft und Versöhnung gesehen, die besonders bei Festakten beschworen wird. Die Städtepartnerschaften (jumelages) allerdings bestehen weiter fort. Es liegt daher an allen Beteiligten, sie nicht nur “von oben”, sondern auch “von unten” immer weiter mit Leben zu erfüllen und die Zusammenarbeit und Freundschaft nicht nur bei festlichen Gelegenheiten in schönen Reden zu beschwören.
Dieses Ziel haben sich auch die Gernsbacher und die Bachamois (Einwohner von Baccarat) zum Vorbild genommen. Ein Beispiel dafür war die Verleihung der Verdienstmedaille der Stadt Baccarat an den damaligen Hauptamtsleiter Heinrich Fortenbacher 1982.
Ein elsässisches Schicksal
Georges Béné war schon von seinem Lebenslauf her ein Mensch, der zum Ausgleich und zur Versöhnung prädestiniert war: Bis 1918 war er deutschsprachiger deutscher Staatsangehöriger, dann französischsprachiger französischer Staatsangehöriger, aber auch immer und vor allem in seiner Region Elsass-Lothringen mit einer ganz eigenen Sprache verwurzelt und durch seine Frau noch mit einer jüdischen Familie verbunden.
Georges Bénés 12 Jahre jüngerer Bruder Charles (1917-2000) ging einen anderen Weg. Nach der raschen Kapitulation Frankreichs 1940 folgte er dem General Jacques-Philippe Leclerc nach Afrika, um dort beim Aufbau von Streitkräften für ein freies Frankreich zu helfen und an der Seite der Aliierten gegen NS-Deutschland und dessen Verbündete zu kämpfen. Darüber schrieb er nicht nur den “Reisebericht einer elsässischen ‘Wüstenratte’ im Freien Frankreich”, sondern ein siebenbändiges Werk mit dem Titel “L’Alsace dans les griffes nazies” (Das Elsass in den Fängen der Nazis) sowie ein Buch über das Konzentrationslager Struthof. Seine gegen das Vergessen geschriebenen Bücher enthalten enorm viele wichtige historische Informationen. Aber den Geist der Versöhnung wie beim älteren Bruder Georges findet man darin kaum, kann man vielleicht auch nicht finden – auch das ein elsässisches Schicksal?