Arbeitsgruppe “Mosbrugger” wird in mehrfacher Hinsicht fündig.
Am Donnerstagmorgen, den 24. März 2022, brechen wir, die Arbeitsgruppe “Mosbrugger” (Regina Meier, Ulrich Maximilian Schumann, Cornelia Renger-Zorn) nach Wertheim auf. Unser hauptsächliches Interesse liegt heute auf der katholischen Pfarrkirche Sankt Venantius, die Mosbrugger in Wertheim gebaut hat, wo er im Anschluss an seine Arbeit in Rastatt und Gernsbach Bezirksbaumeister war. Darüber hinaus bietet Wertheim am Zusammenfluss von Main und Tauber im nördlichsten Zipfel von Baden an der Grenze zu Bayern aber noch viele weitere geschichtliche Bezüge zu unserer Region.
Evangelische Kirche Boxberg-Uiffingen, Taubertal, Zisterzienserkloster Bronnbach
Zunächst fahren wir auf Anregung von Ulrich Schumann in Boxberg-Uiffingen vorbei (A5, A6, A81), wo gerade die Ausstellung “200 Jahre Evangelische Kirche Boxberg-Uiffingen” zu Ende gegangen ist. Ein winziger ländlich geprägter Ort, aus dem sich die Kirche auf einer Anhöhe wie ein antiker Tempel erhebt, ein Anblick, den man dort nicht erwartet hätte! Die beeindruckende Fassade mit klassisch anmutendem Rundbogen und Säulen verdankt die Kirchengemeinde dem berühmten badischen Architekten Friedrich Weinbrenner. Aber auch nur durch Zufall. Eigentlich sollte Weinbrenners Neffe Christoph Arnold die Kirche bauen. Er wollte den Kirchturm, wie in der Weinbrenner-Schule üblich, in die Mitte der Fassade setzen. Das war dem Fürsten von Löwenstein-Wertheim, der für den Bau des Turmes aufkommen musste, aber zu teuer. Daher musste Weinbrenner die Fassade, diesmal ohne Turm, umgestalten. Beeindruckend und ungewöhnlich im Innenraum der riesige Altar mit der Kanzel obendrauf, für den Prediger (und für uns) eine schwindelerregende Angelegenheit!
Nach dieser Weinbrenner-Lehrstunde geht es über die Landstraße weiter ins Taubertal – eine wunderschöne Strecke! Mit einem kleinen Abstecher in die Brunnen- und Burgenstadt Külsheim.
Dann ein Stopp im Kloster Bronnbach (1157 gegründete Zisterzienserabtei) im Taubertal. Wer daran vorbeifahren wollte, müsste sich Gewalt antun! Oder die Augen zubinden! Mittelalterliche Sakralbauten, Renaissance-Architektur und Barock-Gärten mit Putten und allegorischen Skulpturen verbinden sich zu einem idyllischen Ensemble, von dem man sich nur schwer losreißen kann.
August Mosbrugger und St. Venantius
Aber wir müssen weiter! In Wertheim wartet August Mosbrugger, beziehungsweise die von ihm erbaute St. Venantius-Kirche auf uns. August Mosbrugger (1802-1858, aus der berühmten Malerfamilie Mosbrugger vom Bodensee) ist für Gernsbach von Bedeutung, da er für die 1834 vollendete Erweiterung der Liebfrauenkirche verantwortlich ist. Damit ist ihm eine einmalige Fortsetzung gotischer Architektur gelungen! Nachdem wir im Zusammenhang mit der Liebfrauenkirche schon viel über diesen Architekten herausgefunden haben (einige Aspekte sind im neuen Kirchenführer nachzulesen), möchten wir nun mehr über die von ihm erbauten Kirchen (und andere Gebäude) wissen. Denn noch ist nicht ganz geklärt, worin das typisch “Mosbruggerische” in seinem Baustil genau besteht.
Die Kirche St. Venantius (geweiht 1842) befindet sich in einem im 19. Jh. entstandenen Viertel auf der linken Seite der Tauber, von wo sich ein herrlicher Blick auf die Altstadt von Wertheim bietet, die auf der rechten Tauberseite liegt. Sankt Venantius erhebt sich auf ansteigendem Gelände wie auf einer Bühne. Im Vordergrund sind rechts und links von der Kirchenfassade zwei einander entsprechende identische Gebäude vorgelagert: Pfarrhaus und Schule. Mosbrugger (seit 1836 Bezirksbaumeister in Wertheim) ist hier ein die Umgebung dominierendes, harmonisches Ensemble geglückt. Zu dem in rotem Sandstein aufgeführten Komplex führt eine breite Freitreppe empor. Als wir hinaufsteigen, sehen wir durch das geöffnete Kirchenportal im Hintergrund die Kirchenfenster im Chor leuchten.
Neben dem Hauptportal finden wir den Grabstein von August Mosbrugger, mit einer Inschrift für seine Enkelin auf der Rückseite.
Wer sich im Außen- und Innenraum umschaut, entdeckt mehrere Stilelemente: Die durchbrochene Turmpyramide erinnert an den Turm des Freiburger Münsters, manche Rundbogen an die Romanik. Doch das Ganze lässt sich schwerlich einem einzigen Stil zuordnen. Da ist sicher noch Raum für Überlegungen. August Mosbrugger bleibt auch in Zukunft ein spannendes Thema!
Stadt Wertheim
Danach überqueren wir die Tauber, landen in der romantischen, unglaublich gut erhaltenen Altstadt und werden von Eindrücken nur so überschüttet: Reich verzierte Fachwerkfassaden, prächtige Renaissancebauten, mit Figuren geschmückte Brunnen. Aber bevor wir uns ganz im historischen Gassengewirr verlieren, treibt uns der Hunger ins urige Gasthaus (16./17. Jh.) zum Ochsen am Marktplatz. Ich bestelle mir ein Achtel nicht ganz trockenen Müller-Thurgau aus dem Taubertal (wie ich später erfahre, ist der Müller-Thurgau typisch für die Gegend). Eine Offenbarung! Zu einer Leberknödelsuppe. Aber den anderen schmeckt es auch sehr gut!
Danach treffen wir uns zum Kaffee auf dem Marktplatz mit dem ausgewiesenen Spezialisten für (nicht nur) Wertheim und Mosbrugger, Dr. Jörg Paczkowski. Vor seinem Ruhestand leitete er 40 Jahre lang das Grafschaftsmuseum in Wertheim. Und wo führt er uns, nach einem ausführlichen Gespräch über Mosbrugger, dann als erstes hin? Wir können es kaum glauben: In eine Parfümerie ein paar Schritte weiter, ebenfalls am Marktplatz. Wir betreten großzügige Räume mit mächtigen Gewölbedecken in einem 1577 erbauten Vorderhaus, an das sich ein heute mit Glas gedeckter Innenhof anschließt, der von einem Hinterhaus mit reich verzierter Fassade begrenzt wird. Das ganze, „Rüdigerhof“ genannte Gebäudeensemble sieht nach komplizierter Baugeschichte aus. An der Fassade des Hinterhauses prangt die Inschrift: Verbum dei manet in aeternum. Ein Bekenntnis zum Luthertum, wie auf dem Türsturz des evangelischen Pfarrhauses Gernsbach!
Burg Wertheim, interessant auch mit Blick auf die Ebersteiner
Die Burg Wertheim, auf einem Bergsporn zwischen dem Main und der dort in den Main mündenden Tauber (entstanden um 1130, seit der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg Ruine) sehen wir diesmal nur von unten. Aus der Perspektive der Untertanen der zu Füßen der Burg angelegten Stadt.
Erbauer der Burg und Gründer der Stadt waren die Grafen von Wertheim, Verwandte des Adelsgeschlecht der Reginbodonen, die uns auch als Erbauer der Burg Waldenfels in Waldprechtweier begegnen. Der Dichter Wolfram von Eschenbach wurde vom damaligen Burgherrn Graf Poppo von Wertheim gefördert. Im vierten Buch des Parzival (entstanden um 1210) spricht Wolfram von „min herre der grave von Wertheim“.
In Verbindung mit den Grafen von Wertheim traten im 13. Jh. auch unsere Murgtalgrafen. Otto I. von Eberstein, wohl der erfolgreichste Ebersteiner überhaupt (geboren vor 1207, gestorben 1279), verheiratete seinen Sohn Wolfrad mit Kunigunde von Wertheim. Durch diese Heirat waren die Ebersteiner auf dem besten Weg, sich auch an Neckar und Jagst ein eigenes Territorium aufzubauen. Das wurde nur dadurch verhindert, dass diese fränkische Linie der Ebersteiner 1387 wieder ausstarb. Die Besitztümer fielen an das Erzstift Mainz und an die Wertheimer Verwandten.
Doch die Grafen vom Main sollten noch einmal für das Murgtal ungemein wichtig werden: Als der letzte Graf Michael von Wertheim 1556 mit 27 Jahren starb, heiratete seine Witwe Katharina von Stolberg-Königsstein in zweiter Ehe den verwitweten Grafen Philipp von Eberstein (1523-1589). Als in der Markgrafschaft Baden-Baden der katholische Philipp II. ans Ruder kam, gerieten die Protestanten der Grafschaft Eberstein unter Druck. Der einzige Schutz gegen zwangsweise Konvertierung war der evangelische Mitregent Philipp von Eberstein, der eine Politik der Toleranz übte. Leider wurde er von einer fortschreitenden psychischen Erkrankung ergriffen, so dass sein katholischer Vetter Hauprecht als Vormund und Regent eingesetzt wurde. In dieser schwierigen Lage ließ Philipps Frau Katharina, geborene Stolberg-Königstein, nichts unversucht, um die Murgtäler Protestanten vor konfessionellen Zwangsmaßnahmen zu bewahren.
Ach, und übrigens: Die Ebersteiner waren nicht nur Heiratspartner der Wertheimer, sie waren auch mit ihnen blutsverwandt! Auf dem Grabmal der Anna Alexandria in der katholischen Liebfrauenkirche Gernsbach findet sich unter den 16 Ahnenwappen der Verstorbenen auch das Wertheimsche Wappen.
Evangelische Stiftskirche Wertheim
Ein überwältigendes Kunstdenkmal und steinernes Geschichtsbuch ist der um 1390 entstandene Chor der Stiftskirche, in dem sich die Grablege der Grafen von Wertheim befindet. Unter den zahlreichen Grabdenkmälern findet sich auch der sogenannte „Eberstein-Epitaph“. In einer fast acht Meter hohen Renaissance-Architektur begegnen wir Katharina von Eberstein mit ihren beiden Ehemännern in Lebensgröße, zu ihrer Rechten Michael von Wertheim, zu ihrer Linken Philipp von Eberstein. Zum ersten und einzigen Mal ist ein Ebersteiner in voller Größe dargestellt, mit individuellen und authentischen Zügen, also wie er wirklich aussah! Dagegen zeigt die Abbildung von Wilhelm IV., dem Reformator von Gernsbach, auf dem Denkmal im Chor der Gernsbacher St. Jakobskirche, entschieden weniger Individualität. Und danach kennen wir nur noch das lebensechte Portrait der Albertine Sophie Esther, der „letzten Rose von Eberstein“. Ein Jammer, dass der von Dr. Paczkowski verfasste Kirchenführer gerade nicht vorrätig ist!!!
Und noch eine Mosbrugger-Kirche!
Nachdem wir uns von unserem Führer verabschiedet haben, geht es gegen Abend wieder zurück in Richtung Heimat. Vorher machen wir aber noch einen Umweg, um uns eine weitere Mosbrugger-Kirche in Werbach anzuschauen. Die Fassade mit Turm kommt uns vertraut vor. Aber im Innenraum wieder ein völlig neuer Eindruck! Für unser Gefühl merkwürdig gestaltete Seitenschiffe, dafür ein harmonisch proportionierter Chorbereich. Das zeitgenössische Inventar ist bedauerlicherweise auch hier im Lauf der Zeit entfernt worden. Wir haben viel zu diskutieren, bevor wir wieder ins Murgtal abbiegen. Auf jeden Fall sind wir dem typisch “Mosbruggerischen” zumindest näher gekommen.
Text: Cornelia Renger-Zorn
Weitere Hinweise auf der Webseite der Weinbrenner-Gesellschaft
Fotos: Regina Meier